Warum ist genetische Variabilität bzw. Vielfalt wichtig
Um den Begriff der genetischen Variabilität zu verstehen, ist es notwendig, die Begriffe „phänotypisch“ und „genotypisch“ zu verstehen. Phänotypisch beschreibt die äußerlich sichtbare Ausprägung eines Gens. Ein Beispiel hierfür wären braune Augen. Das Phänotypische wird jedoch genotypisch codiert und ist in der DNA verankert.
Bei der sexuellen Fortpflanzung zweier Elternteile der gleichen Art verschmelzen zwei Genome, wobei verschiedene Gene dominant und andere rezessiv vererbt werden. Die genetische Variabilität legt hierbei den Grundstein für die Evolution verschiedener Arten. Damit eine Population einer Art evolvieren kann, müssen verschiedene Genotypen miteinander gekreuzt werden. Durch die genetische Variabilität eines einzelnen Organismus können im Laufe der Evolution verschiedenste Arten hervorgehen.
Inhalt
Die genetische Variabilität einer Art
Da viele Populationen für mehrere Merkmale (genotypisch) eine genetische Variabilität aufweisen, lassen sich durch Selektion bzw. Zucht (phänotypisch) aus einer Art mehrere Arten hervorbringen. Dieser Prozess soll anhand der wilden Senfart Brassica oleracea verdeutlicht werden. Brassica oleracea weist eine enorme genetische Variabilität auf.
Diese betrifft sowohl die Knospen, Blüten, Sprosse als auch die Blätter. Werden die phänotypisch auffälligen Merkmale der B.oleracea mit anderen Individuen der gleichen Art und den gleichen phänotypischen Merkmalen gekreuzt, so festigen sich diese Merkmale in den folgenden Generationen.
Kreuzt man über mehrere Generationen hinweg die Individuen von B.oleracea, die große Blätter aufweisen, so entsteht daraus beispielsweise der heute bekannte Grünkohl. Auch der Kohlrabi ist auf eine ähnliche Weise entstanden. Hierbei wurden die Individuen mit sehr stark ausgeprägten Sprossen miteinander gekreuzt. Auch andere Kohlarten wie z.B. Rosenkohl, Brokkoli, Weißkohl oder Blumenkohl sind auf diese Weise gezüchtet worden.
Beim Rosenkohl wurde der Zuchtfokus auf stark ausgeprägte Achselknospen gelegt. Beim Brokkoli lagen sowohl Sprosse als auch Blüten während der Zucht im Fokus. Die Selektion auf die Endknospen erfolgte beim Weißkohl. Der Blumenkohl entstand jedoch durch die Selektion auf ausgeprägte Blütenstände.
Dieses Beispiel verdeutlicht, inwieweit genetische Variabilität zur Evolution beiträgt. Allerdings fand diese Selektion auf eine unnatürliche Weise statt, da diese Arten gezüchtet wurden. Ein weiteres Beispiel für die Zucht verschiedener Arten aus einer „Ursprungsart“ ist z.B. die Hundezucht.
Der ursprüngliche Vorfahre der heute als Haustiere gehaltenen Hunde ist nach weitläufiger Meinung der Wolf. Seine genetische Variabilität führte dazu, dass je nach phänotypischen Merkmalen und Verhaltensweisen einzelner Individuen mehrere Rassen gezüchtet wurden, die diese speziellen Merkmale vereinen. Hierbei existieren jedoch auch verschiedene Probleme, die auf eine verminderte genetische Variabilität zurückzuführen sind. Seien es Atemprobleme beim Mops oder Hüftprobleme beim Labrador.
Die Erforschung der genetischen Grundlage solcher Entwicklungen stellt sich jedoch als schwierig dar. Der Grund hierfür liegt in der genotypischen Variabilität, die einen Phänotyp hervorbringt. Verschiedene phänotypische Merkmale können entweder dominant oder rezessiv vererbt werden. Teilweise kann auch ein dominant-rezessiver Genotyp den gleichen Phänotyp hervorbringen wie ein rein dominanter Genotyp.
Auch verschiedene Umweltfaktoren beeinflussen die phänotypische Ausprägung. Ein Beispiel hierfür stellen die Blätter eines Baumes dar. Zwar sind alle Blätter eines Baumes genotypisch identisch, doch unterscheiden sie sich je nachdem, wie viel Sonnenlicht auf sie einfällt.
Messbarkeit evolutionärer Prozesse
Um evolutionäre Prozesse messen zu können, werden Allel- und Genotypfrequenzen bestimmt. Ein Allel stellt verschiedene Zustandsformen eines Gens innerhalb eines Chromosoms dar. Die Allelfrequenz wird bestimmt, indem sog. Mendel’sche Populationen untersucht werden.
Eine Mendel’sche Population ist eine Gruppe von Individuen, bei denen es begrenzt zu Kreuzungen kommt. Die Allelfrequenz kann mithilfe einer einfachen Gleichung bestimmt werden. Hierzu dividiert man die Anzahl der Allelkopien der Population durch die Gesamtheit aller Allele der Population.
Würden für eine Mendel’sche Population lediglich zwei Allele vorliegen, die hier mit A und a beschrieben werden sollen, so können diese lediglich in drei verschiedenen Kombinationen auftreten: AA, Aa und aa. Für eine Population, die aus N Individuen besteht, lässt sich die Allelfrequenz folgendermaßen berechnen: (2NAA+NAa)/2N für die Frequenz von A und (2Naa+NAa)/2N für die Frequenz von a.
Die Multiplikation mit 2 bei A und a rührt daher, dass es jeweils zwei Kopien für AA und aa gibt, während es für die Kombination Aa lediglich eine Kopie gibt.
Die Allelfrequenzen können verändert werden und sind keine konstanten Größen. Die Veränderung der Allelfrequenzen führt unter anderem zu Evolution und zur Aufrechterhaltung von Artbeständen. Doch genetische Variabilität wird nicht nur von unterschiedlichen Allelfrequenzen beeinflusst.
Weitere evolutionäre Mechanismen, die genetische Variabilität erhöhen
Es gibt fünf überwiegende Mechanismen, die zur Evolution beitragen. Hierunter fallen die Mutation, der Genfluss, die genetische Drift, nicht-zufällige Paarungen und schlussendlich die natürliche Selektion.
Mutationen sind ein häufig auftretender Mechanismus, durch den die genetische Variabilität erhöht wird. Der Grund hierfür liegt in der DNA-Replikation. Diese läuft nicht immer fehlerlos ab, wodurch „Fehler“ in der replizierten DNA entstehen.
Im Vergleich zur Selektion erfolgen Mutationen stets zufällig. Hierdurch erlangen Organismen andere Eigenschaften, sofern die Mutation nicht dazu führt, dass der Organismus abstirbt. Anhand des Beispiels der wilden Senfart B.oleracea lässt sich erkennen, dass verschiedene Mutationen zu größeren Blättern, Blüten und Knospen geführt haben, die dann wiederum selektiert wurden. Ein weiteres geläufiges Beispiel ist die Antibiotika–Resistenz verschiedener Bakterien.
Da sich viele Bakterien sehr schnell vermehren, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass in kurzer Zeit eine Mutation auftritt. Betrifft die Mutation einen Angriffsort eines Antibiotikums, so kann das Antibiotikum nicht vollständig an diesem Bakterium wirken. Solch ein Angriffsort ist bspw. die Zellwand. Wird diese strukturell verändert, so kann das Antibiotikum die Zellwand nicht mehr lysieren (wie es z.B. beim Penicillin der Fall ist). Somit überleben lediglich die resistenten Bakterien, während die nicht-resistenten lebend verbleiben und ihre Resistenz an die folgende Generation weitergeben können.
Der Genfluss entsteht durch Wanderung von Individuen verschiedener Populationen und einer anschließenden Fortpflanzung. Ein Beispiel lässt sich bei Rudeltieren finden. Findet ein männlicher Löwe ein neues Rudel, indem ein gewisser Genpool mit einer gewissen Allelfrequenz herrscht, kann er nach der erfolgten Fortpflanzung dafür sorgen, dass sich die Allelfrequenz ändert. Dieser Prozess wird Genfluss genannt.
Genetische Drift beschreibt zufällige Veränderungen der Allelfrequenzen, die im Laufe von Generationswechseln sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben kann. Den Prozess des Gendrifts kann man sich anhand eines alltäglichen Beispiels vorstellen. Man gibt in eine Flasche die gleiche Anzahl an roten und gelben Kugeln.
Diese Flasche stellt nun den gesamten Genpool einer Population dar. Schüttelt man die Flasche und schüttet daraufhin einige Kugeln in ein Glas, so ergibt sich vermutlich ein anderes Verhältnis zwischen gelben und roten Kugeln, als es anfänglich der Fall war. Das Schütteln der Flasche kann in der Natur ein Ereignis sein, dass die Population stark dezimiert, wie z.B. ein Vulkanausbruch, Wasserfluten, Waldbrände etc. Die veränderte Allelfrequenz wird in den folgenden Generationen weitergegeben, wodurch ein veränderter Genpool entsteht.
Nicht-zufällige Paarungen tragen dahingehend zur Evolution bei, indem sich die Genotypfrequenzen ändern. Paaren sich beispielsweise nur homozygote Genotypen mit anderen homozygoten Genotypen, so werden in der folgenden Generation die homozygoten Genotypen in größerer Anzahl vorhanden sein als es die heterozygoten Genotypen sein werden.
Bei Pflanzen kommt es darüber hinaus auch zur Selbstbefruchtung, wodurch die Frequenz an homozygoten Genotypen steigt. Die Allelfrequenz ändert sich hingegen nicht.
Auch die natürliche Selektion kann in ihrer Gesamtheit sowohl verändernd als auch stabilisierend auf Populationen und deren Evolution wirken. Man kann zwischen der stabilisierenden Selektion, der gerichteten Selektion und der disruptiven Selektion unterscheiden. Während der stabilisierenden Selektion werden die durchschnittlichen Merkmale aufrechterhalten, indem die durchschnittlichen Individuen überleben, während andere Individuen aussterben.
Die gerichtete Selektion sorgt für eine Veränderung der Merkmale einer Population. Hierbei überleben lediglich die Individuen, die in einer Richtung vom durchschnittlichen Individuum abweichen. Ein Beispiel hierfür ist die Hitzetoleranz bei Wüstenbewohnern. Hierbei werden lediglich die Individuen überleben, die eine erhöhte Hitzetoleranz aufweisen, während andere Individuen, die bei höheren Temperaturen in eine Hitzestarre fallen, absterben.
Die disruptive Selektion ist die gerichtete Selektion in zwei Richtungen, die vom Durchschnitt abweichen. Ein Beispiel für die disruptive Selektion lässt sich bei westafrikanischen Purpurastrilden (Vögel) finden. Hierbei werden sowohl Vögel mit größeren und kleineren Schnäbeln selektiv bevorzugt.
Die Vögel mit kleineren Schnäbeln können sich besser von weichen Samen ernähren, während die Vögel mit größeren Schnäbeln effizienter harte Samen öffnen können. Die Vögel mit mittelgroßen Schnäbeln können sich nicht optimal von beiden Samenformen ernähren, weshalb sie oftmals früher sterben als andere und sich somit nicht so häufig fortpflanzen.
Die Wichtigkeit genetischer Variabilität
Anhand der vorangegangenen Informationen lässt sich erahnen, wie wichtig genetische Variabilität ist. Der wichtigste Aspekt genetischer Variabilität ist die Arterhaltung. Auch die Evolution konnte nur aufgrund genetischer Variabilität und verschiedenen Mechanismen ablaufen.
Ein Problem genetischer Variabilität herrscht für den Menschen insbesondere bei der Antibiotika-Resistenz verschiedener Bakterien vor. Diese entsteht durch Mutationen, die wiederum die genetische Variabilität erhöhen und somit die Arterhaltung der jeweiligen Bakterienart fördert.
Eine fehlende genetische Variabilität bei der Fortpflanzung führt teilweise zu nicht-überlebensfähigen Individuen, da sich DNA-Veränderungen einstellen, die schwerwiegende Folgen haben. Darüber hinaus können nur aufgrund genetischer Vielfalt neue Arten entstehen, sei es durch natürliche Selektion oder durch Zucht. Schlussendlich kann genetische Vielfalt als Triebkraft der Evolution angesehen werden.