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Was bedeutet Tarifflucht: Definition und Bedeutung


Der Begriff Tarifflucht beschreibt verschiedenste Maßnahmen von Arbeitgebern, die Vereinbarung von Tarifverträgen für die eigenen Beschäftigten zu umgehen. Oftmals wird die Bezeichnung Tarifflucht von Gewerkschaften (Arbeitnehmervertretungen) im Zuge von Streiks (Arbeitsniederlegungen) verwendet. In diesem Zusammenhang werfen Gewerkschaften vielen großen Unternehmen vor, bewusst Tarifflucht zu betreiben, um möglichst geringe Löhne zu zahlen und auf diese Weise die eigenen Profite zu maximieren.

Was ist ein Tarifvertrag

Ein Tarifvertrag ist ein Vertragsverhältnis, das zwischen der Vertretung der Arbeitnehmer (also einer Gewerkschaft) auf der einen Seite und einer Arbeitgebervertretung (also einer Interessensgemeinschaft für Unternehmen) oder einem großen Unternehmen selbst auf der anderen Seite geschlossen wird. Ein Tarifvertrag zwischen einer Gewerkschaft und einem Arbeitgeberverband wird Branchentarifvertrag genannt. Wenn ein sehr großes Unternehmen direkt mit einer Gewerkschaft einen Tarifvertrag besiegelt, wird dieser als Werktarifvertrag bezeichnet. In Tarifverträgen sind die Rechte und Pflichten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern geregelt. Unter anderem kann dies Folgendes umfassen:

  • Höhe von Löhnen bzw. Gehältern,
  • Dauer der Arbeitszeiten und Pausenregelungen,
  • Urlaubsansprüche oder
  • Kündigungsfristen.

Für Arbeitnehmer sind Tarifverträge deshalb positiv, weil sie aus ihrer Sicht faire Arbeitsbedingungen garantieren und Ausbeutung vermeiden. Zudem wird die Konkurrenz zwischen Arbeitnehmern aus einer Branche vermieden, da alle denselben Mindestlohn erhalten. Sofern ein Tarifvertrag vereinbart wurde, ist der Arbeitgeber verpflichtet, die getroffenen Regelungen in den Arbeitsverträgen mit seinen Beschäftigten umzusetzen.

Sollte ein tarifgebundenes Unternehmen in einem Arbeitsvertrag beispielsweise einen niedrigeren Lohn anbieten als im geltenden Tarifvertrag, so hat der Mitarbeiter das Recht, dagegen zu klagen und den für sich korrekten Lohn einzufordern. Bekannte Gewerkschaften, die sich für die Interessen von Arbeitnehmern einsetzen, sind beispielsweise ver.di für Dienstleistungsberufe (z. B. Einzelhandelskaufleute) oder die IG Metall für Berufe in der Industrie.

Wie und warum umgehen Unternehmen Tarifverträge

Der Vorwurf der Tarifflucht betrifft oftmals sogenannte Konzerne, also Großunternehmen, die verschiedene Tochterunternehmen haben. Solche Konzerne können auf folgende Arten Tarifflucht begehen:

  • Ein Tochterunternehmen wird durch einen Verkauf oder eine Verselbstständigung ausgegliedert und aus dem Mutterkonzern herausgelöst. Falls für den Mutterkonzern ein Tarifvertrag gilt, würde dieser für das ausgegliederte Tochterunternehmen nun nicht mehr gelten.
  • Das Unternehmen tritt aus einem Arbeitgeberverband aus. Wie im vorherigen Absatz geschildert, werden Tarifverträge zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden geschlossen. Wenn ein Unternehmen nicht mehr in einem bestimmten Arbeitgeberverband organisiert ist, besitzen Tarifverträge, die dieser Verband mit einer Gewerkschaft abschließt, für das Unternehmen keine Gültigkeit mehr.
  • Das Unternehmen weigert sich von vornherein, überhaupt einem Arbeitgeberverband beizutreten oder einen Werktarifvertrag abzuschließen.
  • Das Unternehmen sucht sich bewusst einen Arbeitgeberverband aus, bei dem besonders niedrige Löhne tariflich vereinbart wurden.

Unternehmen argumentieren bei der Umgehung von Tarifverträgen oftmals damit, dass vergleichbare Firmen derselben Branche ebenfalls nicht tarifgebunden seien. Um konkurrenzfähig zu bleiben, sei die Reduzierung von Lohnkosten oftmals die einzige Möglichkeit. Ansonsten müssten Kündigungen vorgenommen werden, was den Verlust von Arbeitsplätzen bedeuten würde.

Was sind bekannte Beispiele für Tarifflucht

Ein sehr prominentes Unternehmen, welchem immer wieder Tarifflucht vorgeworfen wird, ist der US-Onlinehändler Amazon. Dieser wird oftmals beschuldigt, schlechte Löhne zu zahlen und seinen Mitarbeitern unzumutbaren Arbeitsbedingungen auszusetzen. Dies führt regelmäßig zu großflächigen Arbeitsniederlegungen, vorwiegend in umsatzstarken Zeiten wie dem Oster- oder dem Weihnachtsgeschäft. Problem: Amazon ist in keinem Arbeitgeberverband organisiert und hat bisher alle Versuche von Gewerkschaften, einen unternehmensbezogenen Tarifvertrag abzuschließen, blockiert.

Das Unternehmen selbst sieht die Vorwürfe als ungerechtfertigt an und entgegnet, dass man deutlich mehr als den gesetzlichen Mindestlohn zahlen würde. Zudem würde man Mitarbeitern viele weitere Zusatzleistungen wie Bonuszahlungen, kostenlose Lebensversicherungen oder Zugriff auf Mitarbeiteraktien bieten. Insbesondere letzteres entkräftet aus Sicht von Amazon den oft geäußerten Vorwurf, dass man die Angestellten nicht am Unternehmenserfolg beteiligen würde. Auch ohne Tarifvertrag sei man ein fairer und verantwortungsbewusster Partner.

Was fordern Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Tarifflucht

Aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) führt das Zahlen von zu geringen Löhnen im Zusammenhang mit der Tarifflucht vieler Unternehmen zu beträchtlichen Steuermindereinnahmen. Laut DGB-Berechnungen entgeht dem Staat jährlich eine Summe von 40 Milliarden Euro. Gewerkschaften und linke Parteien fordern die Politik daher schon lange auf, entschiedener gegen Tarifflucht vorzugehen.

Ein mögliches Mittel wäre beispielsweise, mehr Tarifverträge als allgemeinverbindlich einzustufen. Allgemeinverbindlich bedeutet, dass der betreffende Tarifvertrag auch dann gilt, wenn das betroffene Unternehmen nicht in einem Arbeitgeberverband ist oder die Angestellten des Unternehmens nicht in einer Gewerkschaft organisiert sind. Solche Tarifverträge können nicht umgangen werden.

In der Baubranche, wo schlechte Löhne früher stark verbreitet waren, ist dies schon lange üblich; hier sind Tarifverträge in der Regel allgemeinverbindlich. Die Partei „Die Linke“ fordert beispielsweise, dass die Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels als allgemeinverbindlich anerkannt werden, damit auch Amazon unter deren Geltungsbereich fällt. Ein weiteres Mittel, um Tarifflucht zu verhindern, liegt aus Gewerkschaftssicht darin, öffentliche Aufträge (also Aufträge, die der Staat direkt an Unternehmen vergibt) generell nur noch an tarifgebundene Unternehmen zu vergeben.


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