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Die 3 Fragestellungen der Entwicklungspsychologie


Anders als der Name vielleicht vermuten lassen würde, befasst sich die Entwicklungspsychologie nicht nur mit der Entwicklung von Babys und Kindern. Darin lagen zwar die Anfänge dieses Forschungszweiges. Doch mittlerweile geht es vielmehr um die Entwicklung der menschlichen Psyche über die gesamte Lebensspanne hinweg.

Dazu werden drei verschiedene Hauptforschungsfragen untersucht. Zum einen stellt sich die Frage, ob es sich bei der Entwicklung um einen kontinuierlichen Prozess handelt oder um eine Reihe aufeinanderfolgender, aber unterschiedlicher Stufen. Zum anderen wird der der Einfluss von Anlage und Umwelt näher beleuchtet. Die dritte Hauptfrage dreht sich um die Stabilität der Persönlichkeit. Zu diesen drei Fragen erfährst du im folgenden Artikel mehr.

1. Verläuft die Entwicklung kontinuierlich oder stufenweise

Es existieren verschiedene Theorien über die psychische Entwicklung. Die Frage dreht sich darum, ob und welche Bereiche der psychischen Entwicklung sich wie ein fließender Prozess gestalten und welche eher einer Treppe oder Leiter mit verschiedenen Stufen gleichen.

Für das Kindes- und Jugendalter wurden im Laufe der Geschichte verschiedene Modelle entwickelt. Beispiele dafür sind die psychosexuelle Entwicklung von Sigmund Freud oder die Stadien der kognitiven Entwicklung nach Jean Piaget. Ihre Modelle gehen von Stufen beziehungsweise Stadien oder Phasen aus, die aufeinander aufbauen. Es muss demnach erst eine bestimmte Stufe abgeschlossen sein, bevor die nächste erklommen werden kann. Zudem beziehen sich ihre Modelle hauptsächlich auf die Person selbst.

Andere Theorien, wie etwa die des Entwicklungspsychologen Lev Vygotzky, gehen eher darauf ein, wie sich das Denken eines Kindes im Zusammenspiel mit dessen Umwelt und von Sprache beeinflusst wird. Auch er ging von einer Art Stufenmodell aus, welches allerdings eher als Gerüst angesehen werden kann. Kindern wird mittels der Sprache ein Gerüst präsentiert, in welches sie neue Informationen einbinden können. Auf diese Weise können sie zu höheren Denkebenen hinaufklettern.

Moralische und soziale Entwicklung

Auch in Bezug auf das moralische Denken liegt ein Modell vor. Beispielsweise ging Lawrence Kohlberg davon aus, dass sich ebenfalls in einer Abfolge von Stufen verschiedene Arten des moralischen Denkens entwickeln. Ein weiteres Stufenmodell stammt von Erikson, welches sich auf die psychosoziale Entwicklung bezieht. Sein Modell zielt nicht nur auf das Kindesalter ab, sondern auch auf den weiteren Verlauf des Lebens. Dabei schrieb er jedem Lebensabschnitt verschiedene Entwicklungsaufgaben zu, welche für eine gelungene Entwicklung bewältigt werden müssten.

Dennoch stellt sich die Frage, ob in der psychischen Entwicklung überhaupt solche klaren zeitlichen Grenzen gezogen werden können. An den Stufenmodellen kann einerseits kritisiert werden, dass sie sich an der Entwicklung von Kindern in westlichen und individualistischen Gesellschaften orientierten. Eine kulturübergreifende Gültigkeit kann somit ohne Frage angezweifelt werden. Viele Annahmen sind zudem mittlerweile überholt und nicht mehr haltbar. Zwar spielen sich im Gehirn von Babys und Kleinkindern Entwicklungsprozesse ab, die relativ gut mit den Beschreibungen in Piagets Modell übereinstimmen. Doch einige Fähigkeiten wurden in späteren Studien festgestellt, die Kinder in einem bestimmten Alter nach Piaget noch gar nicht können sollten.

Das Modell Eriksons bezieht sich auf die gesamte Lebensspanne. Das macht die klar abgetrennten Stufen noch einmal um einiges schwieriger. Schließlich sind die Lebensverläufe Erwachsener mittlerweile nicht mehr dieselben wie noch vor hundert Jahren.

2. Welchen Einfluss haben die Gene und die Umwelt

Die kurze Antwort auf diese Frage lautet: Beides wirkt auf die menschliche Entwicklung ein. Es kommt jedoch auf den jeweiligen Bereich an. Genetisch ist beispielsweise festgelegt, welche Entwicklungsprozesse ein Ungeborenes im Mutterleib durchläuft. Wie diese sich letztendlich allerdings gestalten, ist auch von äußeren Faktoren abhängig. So können beispielsweise Alkohol, Drogen oder andere giftige Substanzen die geistige und körperliche Entwicklung des Embryos oder Fötus beeinträchtigen.

Ebenfalls genetisch programmiert ist die Abfolge der motorischen Entwicklungsprozesse. Kleinkinder lernen erst zu sitzen, dann zu krabbeln und anschließend zu laufen. Auch der Zeitpunkt, wann sie auf´s Töpfchen gehen können, ist mit Übung nicht herbeizuführen. Wenn das Kleinkind zum Beispiel noch keine motorische Kontrolle über seine Blasenfunktion hat, können die Eltern noch so lange mit ihm üben – es wird nicht funktionieren. Ähnlich sieht es bei den ersten Stritten aus. Um das Laufen erlernen zu können, müssen sich die zuständigen Nervenverbindungen und Muskeln erst einmal vollständig entwickelt haben.

Wir können nicht lernen, wofür unser Körper noch nicht bereit ist

Anders sieht es mit Dingen wie Erziehungsstil oder Bindungsverhalten aus. Die Bezugspersonen – in der Regel die Eltern – haben abseits der genetisch vorgefertigten Reifungsprozesse durchaus einen Einfluss auf die kindliche Entwicklung. Wie ein Kind sich beispielsweise in einer fremden Umgebung verhält, wenn seine Mutter den Raum verlässt, hängt von der Bindung zwischen den beiden ab. So reagieren sicher gebundene Kinder zwar unruhig auf das Verlassen der Mutter, lassen sich von dieser nach ihrer Rückkehr allerdings schnell wieder beruhigen und spielen unbeirrt weiter. Unsicher gebundene Kinder weisen andere Reaktionen auf. Während manche sich anschließend gar nicht mehr beruhigen lassen, ist anderen das Kommen und Gehen der Mutter sichtlich ziemlich egal.

Die Entwicklung des Gehirns beeinflusst ebenfalls das Verhalten der Kinder und Jugendlichen. Nicht alle Areale entwickeln sich zeitgleich. So können Kinder sich beispielsweise erst mit drei oder vier Jahren in andere Personen hineinversetzen. Hypothetisches oder moralisches Denken erfolgt noch später. So unterscheidet sich das moralische Denken eines Neunjährigen noch grundlegend von dem eines Sechzehnjährigen.
Natürlich spielt auch im Jugend– und im Erwachsenenalter die Umwelt eine Rolle bei der weiteren psychischen Entwicklung.

Besonders wichtig sind während der Adoleszenz Gleichaltrige. Jugendliche lösen sich langsam von ihren Eltern ab und orientieren sich dabei stark an ihrem außerfamiliären Umfeld. Insbesondere eben an Freundesgruppen oder anderen Jugendlichen im ähnlichen Alter. Diese starke Orientierung lässt mit zunehmendem Alter wieder nach. Es spielen allerdings nicht nur Peers eine Rolle, sondern auch zeitliche und kulturelle Aspekte.

Das Jugendalter nahm im Laufe der Zeit zu

Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundertlag das Durchschnittsalter für die erste Regelblutung noch bei circa 15 Jahren.

Geheiratet wurde im Schnitt mit 22 Jahren. Gut hundert Jahre später (1995) setzte die erste Blutung bereits zwischen 13 und 14 Jahren ein, während sich der Zeitpunkt der Heirat weiter nach hinten verschob. Da in den 1990ern das durchschnittliche Heiratsalter 25 Jahre betrug, hatte sich in den etwa hundert Jahren die Dauer des Jugendalters von etwa 7,2 auch 12,5 Jahre verlängert. Für das frühere Einsetzen der Blutung werden Umwelteinflüsse, wie beispielsweise eine bessere Ernährung verantwortlich gemacht. Das Alter bis zur Heirat verschob sich aufgrund der zunehmend länger werdenden Ausbildungszeit.

Zudem ändern sich Rollenbilder und Lebensläufe im Laufe der Geschichte. Während noch die Elterngeneration der heute etwa 30- bis 40-jährigen einen Beruf erlernte und diesen im Normalfall bis zum Renteneintritt beibehielten (oft auch in der Firma, in der sie ihre Lehre gemacht hatten), ist das heute kaum noch der Fall.

3. Wie stabil ist die Persönlichkeit

Unsere Persönlichkeit wird nicht nur von den Genen, sondern auch von der Umwelt beeinflusst. Da verwundert es eigentlich nicht, dass aufgrund des zweiten Faktors manche Menschen nach Jahren wie ausgewechselt zu sein scheinen. Umwelteinflüsse können sich immerhin ständig ändern und daher auch unterschiedliche Wirkungen auf die Psyche haben. Doch in welchen Bereichen bleibt unsere Persönlichkeit dennoch stabil? Oder ist sie gänzlich den Veränderungen unterworfen?

Die Forschung zeigt, dass beispielsweise das Temperament ein recht stabiler Aspekt unserer Persönlichkeit ist. Zumindest stabiler als zum Beispiel soziale Einstellungen. Anhand einiger Persönlichkeitseigenschaften, die im Kindesalter vorliegen, können Vorhersagen über spätere Verhaltensweisen gemacht werden. Eine Langzeitstudie mit dreijährigen Kindern zeigte zum Beispiel, dass diejenigen mit einer gering ausgeprägten Gewissenhaftigkeit und Selbstkontrolle, mit Anfang Dreißig mehrere Gemeinsamkeiten aufwiesen: Sie waren krankheitsanfälliger, häufiger alleinerziehend oder mit höherer Wahrscheinlichkeit drogenabhängig.

Stabilität und Veränderung halten sich die Waage

Nicht jedes Verhalten im Kindesalter sagt die Persönlichkeit im Erwachsenenalter vorher.

Schließlich gehen Menschen durch verschiedene Situationen, machen unterschiedliche Erfahrungen und entwickeln sich aufgrund dessen auf verschiedene Art und Weise. Während eine als Kind sehr aggressive Person vielleicht im späteren Verlauf seines Lebens mit ihren Emotionen umzugehen lernt, greift eine andere eventuell zu gewaltvollen Mitteln bei der Konfliktlösung oder richtet Aggressionen gegen sich selbst. Die Grundtendenzen bleiben in einigen Bereichen zwar gleich, doch die Umwelt beeinflusst auch, wie man darauf reagiert.

Zusammenfassung

  • Die Entwicklungspsychologie beschäftigt sich mit drei Hauptfragestellungen: Gene und Umwelt, Kontinuität sowie Stabilität.
  • Beim Thema Gene und Umwelt stellt sich die Frage, welche Entwicklungen eher genetisch und welche eher durch die Umwelt bedingt sind.
  • Manche Prozesse sind genetisch vorprogrammiert, können durch umweltbedingte Störeinflüsse allerdings beeinträchtigt werden.
  • In anderen Bereichen sind Umwelteinflüsse entscheidender als die Veranlagung, beispielsweise beim Bindungsverhalten.
  • Die Frage nach der Kontinuität bezieht sich darauf, ob es in der Entwicklung des Menschen zeitlich abgegrenzte und aufeinander aufbauende Stufen gibt oder ob sich das Ganze als ein kontinuierlicher Prozess gestaltet.
  • Es gibt eine Reihe von Stufenmodellen. Diese sind zwar teilweise überholt, bieten dennoch eine gewisse Orientierung.
  • Ob Stabilität in Bezug auf die Psyche und die Persönlichkeit vorherrscht? Ja und nein. Einige Bereiche der Persönlichkeit scheinen sich im Laufe des Lebens wenig zu verändern. Andere wiederum sind einer stetigen Veränderung unterlegen. Auch hier spielen wieder die Aspekte Gene und Umwelt eine Rolle.

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