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Was bedeutet am Hungertuch nagen: Herkunft & Bedeutung


Am Hungertuch nagen

Am Hungertuch nagen ist eine Redewendung, welche materielle Armut beschreiben soll. Das Aufhängen eines Fasten- oder Hungertuches stammt aus dem Christentum. Die Grundlage für diesen christlichen Brauch entstand bereits vor der Zeitenwende im Judentum.

Was bedeutet am Hungertuch nagen

Am Hungertuch nagen bedeutet, dass man nichts zum Essen hat und keine Aussicht hat, Essen zu beschaffen. Wenn jemand am Hungertuch nagt, ist diese Person so arm, dass sie sich keine Lebensmittel kaufen kann. Die Person behauptet dann von sich selbst, dass sie am Hungertuch nagt. Im übertragene Sinn ist hiermit auch die Tischdecke als Hungertuch gemeint, auf welcher man herumkaut, falls echte Nahrung fehlt.

Was ist ein Hungertuch

Das Hungertuch ist ein Stofftuch, Gewand oder Tuchteppich, welches in der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche zur Fastenzeit aufgehängt wird. Das Tuch verdeckt das Kruzifix und andere Darstellungen Jesu.

Wieso?
Während der 40-tägigen Fastenzeit vor Ostern soll an die letzten Lebtage des Jesu von Nazareth erinnert werden. Dieser gilt als historische Vorlage für die Symbolfigur Jesus Christus, welche im Christentum als Erlöser verehrt wird.

Die 40 Tage entsprechen der Wüstenreise von Jesu. Im Matthäusevangelium Absatz 4 wird die Versuchung geschildert, welche Jesus von Nazareth widerstehen sollte. Er wurde in eine Wüste geführt, um dort vom Teufel verführt zu werden.

Nach vierzig Tagen und vierzig Nächten des Hungerns, trat der Versucher an Jesu heran und sagte: „Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird“. Und Jesus antwortete: „In der Schrift heißt es: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt. “

Warum wird das Hungertuch aufgehängt

Die 40-tägige Fastenzeit soll an das Hungern erinnern, welches Jesus durchlitt. Sie soll aber auch als Zeit der Buße für öffentliche Sünder genutzt werden. Sowohl in der evangelischen als auch in der katholischen Kirche wird die Fastenzeit vor Ostern begangen, um spirituelle Reinheit zu erlangen.

Das Hungertuch ist dabei ein Symbol für einen Vorhang, welcher zu Zeiten Jesu im Tempel von Jerusalem hing. Dieser Vorhang schirmte die Tempelräume ab, so dass niemand ins Allerheiligste vordringen konnte.

Im Allerheiligsten, also dem innersten Raum der Tempelanlage, wurde die Bundeslade aufbewahrt. Die Lade war eine Truhe, welche von Gott in Auftrag gegeben wurde. Dieser Kultgegenstand war nötig, um die Steintafeln mit den 10 Geboten aufzunehmen, welche Moses auf dem Berg Sinai empfing.

Die Israeliten trugen die Bundeslade von Ägypten nach Jerusalem. Dabei war die Truhe ein Symbol für die Anwesenheit ihres Gottes. Im Allerheiligsten des Jerusalemer Tempels wurde die Bundeslade aufbewahrt, weshalb in diesem Raum die Anwesenheit Gottes besonders stark war.

Niemand durfte den Raum betreten. Nur ein ganz bestimmter Hohepriester durfte den Raum einmal im Jahr betreten. Im Judentum fällt dieser Tag auf einen September- oder Oktobertag und wird als Jom Kippur gefeiert. Der Jom Kippur (Tag der Sühne, Versöhnungstag) gilt als höchster Feiertag im Judentum und beendet ebenfalls eine 10-tägige Fastenzeit.

Im Neuen Testament der Bibel steht, dass zum Zeitpunkt als Jesus am Kreuz starb, der Vorhang im Tempel in zwei Teile riss. Das Markusevangelium schreibt dazu: „Jesus aber schrie mit lauter Stimme. Dann hauchte er den Geist aus. Da riss der Vorhang im Tempel in zwei Teile von oben bis unten. “ (Markus 15,37 und 38)

Da Jesus von Nazareth am Karfreitag (Osterfreitag) gekreuzigt wurde, wird die Zeit vor Ostern religiös gefeiert. So wird der Altarraum ebenfalls durch ein Hunger- bzw. Fastentuch vom üblichen Kirchenraum abgetrennt.

Die Gemeinde verfolgt die Zeremonie lediglich hörend und betritt den Altarraum nicht. Das Fastentuch wird 40 Tage (Wüstenreise) aufgehängt, weshalb es auch als 40-Tage Tuch bezeichnet wird.

Warum wird am Hungertuch genagt

Im Judentum beendet der Jom Kippur (Versöhnungstag) eine zehntägige Fastenzeit, welche als die zehn Tage der Umkehr oder der Reue bezeichnet werden. Zuvor werden alle Gläubigen zum jüdischen Neujahrsfest (Rosch ha-Schana) gerichtet. Das Urteil wird zehn Tage danach, am Jom Kippur, gewogen. In diesen 10 Tagen hat der Gläubige Zeit, seine Umkehr einzuleiten. Diese Umkehr (Zuwendung zu Gott) geschieht durch Buße, Fasten, Nachdenken und Wohltätigkeit.

Das Hungertuch gibt es zwar im Judentum nicht, doch die Entbehrung und der Verzicht sind elementare Möglichkeiten, um Gott näher zu kommen.

Nun muss man festhalten, dass das Christentum aus dem Judentum hervorging und Jesus selbst Jude war. Der Wanderprediger wollte keine neue Religion gründen, dies taten seine Anhänger nach seinem Tod. Stattdessen wollte er das Judentum reformieren und um einzelne Aspekte und Botschaften ergänzten.

Doch da Jesus von Nazareth am Kreuz starb und alle Sünden der Menschheit auf sich nahm, wurde er von seinen Jüngern zum Erlöser erklärt. Das Leid zog als elementarer Bestandteil ins Christentum ein.

Und deshalb geht man im Christentum noch weiter. Denn Hunger, Verzicht und selbst das Leid sind elementare Möglichkeiten, um Gott zu erfahren. Denn im Christentum wird Leid oder der Leidensweg (Passionsweg, Passion Christi) gehuldigt und stark verehrt. Einige Menschen, welche besonderes Leid erfahren mussten, aber dennoch ihren Glauben bis zum Tod bewahrten – werden zu Märtyrern gemacht. Das Leiden und auch der Leidensweg wird zudem zu etwas höchst Ehrbaren erklärt.

In der westlichen Welt neigen die Menschen wohlmöglich auch deshalb dazu, immer etwas zu leiden. Und wohlmöglich hat diese Tendenz zum Leid, etwas mit christlichen Glaubenssätze zu tun, welche gesellschaftlich verankert sind. Niemand spricht gern aus, dass es ihm vollkommen gut geht. Wird man gefragt, wie es einem geht, antworten die meisten: Gut, aber…

Niemand nimmt das vollkomme Gute für sich an, da man sich ansonsten schlecht, von Schuldgefühlen geplagt und ungenügend fühlt. Ohne Leid wirkt man fehlerhaft. Das Nagen am Hungertuch ist demnach ein Weg, um zu Gott zu finden. Das Nagen, als Akt der Nahrungsaufnahme, soll dabei den Verzicht weiter verstärken, da beim Nagen lediglich Nahrungsreste abfallen.


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