Skip to main content

Wer war Ignaz Semmelweis: Biografie und Werk


wer war ignaz semmelweis

Ignaz Semmelweis war Arzt und Geburtshelfer im 19. Jahrhundert. Seinen Beobachtungen und Studien ist es zu verdanken, dass Hygiene heute eine wichtige Rolle in der Medizin spielt. Zu Lebzeiten fand er mit seinen Thesen jedoch kaum Gehör.

Herkunft und Weg zur Medizin

Ignaz Semmelweis war das fünfte Kind seiner Eltern Josef Semmelweis und Theresa geb. Müller. Er wurde am 1. Juli 1818 in Buda geboren. Heute ist Buda der am rechten Flussufer liegende Stadtteil der ungarischen Hauptstadt Budapest. Zu Semmelweis’ Zeit handelte es sich bei Buda und Pest jedoch noch um zwei eigenständige Städte. Buda gehörte zum Königreich Ungarn und damit zum Habsburgerreich und Kaisertum Österreich.

Die Eltern Semmelweis’ bemühten sich darum, dass all ihre Kinder eine gute Schulbildung genossen. Semmelweis lernte an verschiedenen Gymnasien, bevor er 1835 an der Universität Pest sein Studium in Philosophie und Jura begann. Der ursprüngliche Plan war es, dass er Militäranwalt wurde. 1837 fing er daher ein Studium der Rechtswissenschaft in Wien an. Ein Jahr später brach es jedoch ab und wechselte zur Medizin. Dieses Studium beendete er 1844. Er war nun Magister der Geburtshilfe und promovierte im selben Jahr zum Dr. med. Ein Jahr darauf folgte die Promotion zum Doktor der Chirurgie.

Semmelweis und die evidenzbasierte Medizin

In dieser Zeit und den Jahren darauf arbeitete Semmelweis unter anderem im Wiener Allgemeinen Krankenhaus. Er lernte von Josef Skoda, einem Arzt, der eine Brustambulanz führte, die Methode „diagnosis per exclusionem“, die Diagnose durch Ausschließen. Außerdem interessierte er sich für Statistiken und setzte sich für genauere klinische Beobachtung und Verwendung der damit gewonnenen Daten ein. Dadurch wurde er zum Mitbegründer der evidenzbasierten Medizin, einer Medizin, die von sich selbst Nachweisbarkeit verlangt. Damit entkräftete er gleichzeitig seine kurz zuvor selbst veröffentlichte Dissertation „Über das Leben der Pflanzen“.

Die Arbeit behandelte die Theorie des Vitalismus. Der Vitalismus geht davon aus, dass alles Lebendige nicht herstellbare Lebensenergien enthält. Diese Theorie konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Semmelweis vertrat offenbar direkt nach seinem Studium eine gänzliche andere Sicht auf die Medizin und die damit verbundenen wissenschaftlichen Arbeit.

Bedeutung für Geburtsmedizin und Infektionsverhütung

1846 wechselte Semmelweis in die geburtshilfliche Abteilung des Wiener Allgemeinen Krankenhauses. Dort arbeitete er als Assistenzarzt für Prof. Johann Klein, dessen Abteilung mit einer Letalitätsrate von 5 bis 15 % deutlich unter den in anderen Kliniken teilweise üblichen 30 % lag. Dennoch starben unter ihm, seinen Assistenzärzten und Medizinstudenten noch immer deutlich mehr Frauen im Kindbett, als in der zweiten Abteilung. Dort arbeiteten ausschließlich Hebammen und Hebammenschülerinnen.

Dieser Umstand war bekannt, wurde bisher aber nicht hinterfragt. Semmelweis interessierte sich jedoch dafür. In seinem Tagebuch vermerkte er, dass von 208 Müttern 36 am Kindbettfieber starben. Die Gefahr einer Geburt war damit vergleichbar mit der einer Lungenentzündung.
Semmelweis wollte dem Ungleichgewicht zwischen erster und zweiter Abteilung auf den Grund gehen. Dafür begann er, die Mütter noch gründlicher zu untersuchen, was dazu führte, dass noch mehr Frauen um ihn herum starben. Schließlich weigerten sich Hochschwangere oder Gebärende, in seine Abteilung verlegt zu werden.

Es dauerte bis 1847, bis Semmelweis nach einer Leichensektion ein Zusammenhang mit dem Kindbettfieber auffiel: Ein befreundeter Gerichtsmediziner, Jakob Kolletschka, wurde dabei von einem Studenten mit dem Skalpell verletzt. Der Student schnitt ihm aus Versehen in den Finger, was keine akut lebensbedrohliche Verletzung hervorrief. Allerdings führte sie in den Tagen darauf zu einer Blutvergiftung. Kolletschka starb daran am 13. März 1847.

Die Symptome, die er während der Krankheit zeigte, erinnerten Semmelweis stark an das Kindbettfieber. Genau an dieser Stelle lag das Problem. Die auf der Entbindungsstation am Kindbettfieber verstorbenen Frauen wurden von den Ärzten und Studenten untersucht. Sie führten zwischendurch Sektionen durch und nutzten dieselben Instrumente bei den Gebärenden. Weder diese Instrumente noch ihre Hände desinfizierten sie vor dem Wechsel zwischen Leichenschau und Kreißsaal. Es wuschen sich nicht einmal alle regelmäßig die Hände mit Seife.

Auf der Hebammenstation gab es keine Leichenschau. Die Hebammen führten außerdem keine vaginalen Untersuchungen bei ihren Patientinnen durch. Semmelweis fügte diese Hinweise zusammen und kam zu dem Schluss, dass mangelnde Hygiene der Ärzte zu den vermehrten Todesfällen führte. Er beschrieb den Wechsel zwischen Sektion und Geburtshilfe so, dass Ärzte mit von Kadaverteilen verklebten Händen die Gebärenden untersuchten. Den genauen Grund, dass auf diese Weise Bakterien übertrugen wurden, kannte Semmelweis noch nicht. Seine Lösung für das Problem war dennoch richtig.

Beweis für Semmelweis’ These

Bis 1848 arbeitete er an einer Studie. Sie sollte belegen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen mangelnder Hygiene und dem Kindbettfieber gab. Er verlangte daher von seinen Studenten, dass diese ihre Hände und alle benutzten Instrumente mit Chlorlösung oder Chlorkalk desinfizieren. Erst danach durften sie von einer Sektion auf die Geburtstation wechseln. Der Versuch war ein voller Erfolg. Semmelweis senkte die Sterblichkeitsrate der Wöchnerinnen von 12,3 % auf etwa 2 %. Damit überlebten in seiner Abteilung ebenso viele Frauen eine Geburt wie in der Nachbarabteilung der Hebammen.

Während der Studie gab es einen Rückschlag, als plötzlich zwölf Frauen am Kindbettfieber erkrankten. Die Ursache fand Semmelweis bei einer Wöchnerin mit Uteruskarzinom. Zwischen den Behandlungen auf der Geburtsstation fanden nämlich weiterhin nur oberflächliche Waschungen statt. Semmelweis änderte seine Vorschriften daher. Von jetzt an desinfizierten sich die Studenten vor jeder Untersuchung die Hände. Ob die Untersuchung an einer lebenden oder verstorbenen Patientin stattfand, spielte keine Rolle mehr. Diese Regeln senkten die Sterblichkeitsrate auf 1,3 %. Unter Semmelweis und seinen Studenten überlebten damit mehr Frauen eine Geburt als bei den Hebammen.

Die Ergebnisse seiner Studie wollte Semmelweis zunächst nicht veröffentlichen. Letztendlich übernahm sein Freund, der Dermatologe Ferdinand von Hebra, diese Aufgabe, weil Semmelweis sich nicht traute.

Warum wir heute trotzdem kaum den Namen „Ignaz Semmelweis“ kennen

Ohne die Beobachtungen von Ignaz Semmelweis wäre die Medizin in Sachen Infektionsschutz heute womöglich noch nicht so weit. Trotzdem verbindet kaum jemand seinen Namen mit den Begriffen „Desinfektion“ oder „Hygiene“. Tatsächlich weiß die Mehrheit mit ihm wohl gar nichts anzufangen.
Warum seine Erkenntnisse so vehement abgelehnt wurden, lässt sich durch die folgenden Punkte erklären.

Niemand vertrat die Interessen der Frauen

Leider gibt es heute kaum Daten darüber, wer die Frauen waren, die in die Geburtskliniken zu Semmelweis’ Zeit kamen. Man weiß nur, dass die meisten von ihnen arm waren. Auf politischer oder gesellschaftlicher Ebene vertrat daher niemand ihre Interessen.

So ist zu erklären, dass die hohe Sterblichkeit im Kindbett nicht auffiel, bzw. nicht hinterfragt wurde. Semmelweis’ Bemühungen stießen auf taube Ohren, da sich mit diesen Problemen niemand befassen wollte. Die Frauen waren uninteressante Patientinnen. Sich näher mit gehäuften Todesfällen zu befassen, ergab für die Ärzte der Zeit keinen Sinn.

Die schwierige Persönlichkeit Semmelweis’

Semmelweis’ Persönlichkeit durchlebte einen grundlegenden Wandel. In seiner Jugend war er schüchtern und zurückhaltend. Er wird als angenehmer Mann beschrieben, dem man vertrauen konnte. Vermutlich konnte er seine Thesen aus diesem Grund nicht so verteidigen, wie es nötig gewesen wäre.
Später verbitterte er zusehends. Hinzu kamen diverse psychische Veränderungen, die vermutlich mit Depressionen zusammenhingen.

Er verhielt sich gegenüber Kollegen aggressiv und verlor schnell die Beherrschung. Diese Phase wechselte sich mit einer Phase der Antriebslosigkeit ab, in der er sein Äußeres vernachlässigte. In dieser Zeit begann er außerdem, in jeder Person Feind, Neider oder Intrigant zu sehen. Nach heutigem Stand der Forschung erscheint es denkbar, dass Semmelweis’ neben den Depressionen noch an einer anderen Krankheit litt, die zu diesen Wesensänderungen führte.

Semmelweis war also anfangs ein angenehmer, jedoch durchsetzungsschwacher Mann. Später führte auch sein negatives Verhalten zur Ablehnung seiner These.

Der damals aktuelle Forschungsstand und die ablehnende Haltung führender Ärzte

Als Semmelweis seine These veröffentlichte, fand sie zunächst großes Gehör. Man stand ihr nicht unbedingt positiv gegenüber, aber interessierte sich immerhin für seine Beobachtungen. Die Revolution von 1848 setzte dieser Entwicklung jedoch ein Ende. Anschließend vertraten die medizinischen Lehrbücher wieder die alten Lehren, die dem aktuellen Forschungsstand entsprachen. Von Desinfektion war nirgends mehr die Rede.
Dass die These scheiterte, wurde außerdem durch die ablehnende Haltung führender Ärzte verstärkt. Sie hielten an ihrer Forschung fest und vertraten die Ansichten Rudolf Virchows.

Der deutsche Arzt verband Medizin mit Politik und der damit verbundenen Arznei- und Lebensmittelversorgung der Bevölkerung. Seiner Meinung nach löste Mangelernährung Seuchen aus. Er selbst lehnte Semmelweis’ Erkenntnisse ab. Laut ihm starben die Frauen im Kindbett aufgrund von schlechten Witterungsverhältnissen und Vorerkrankungen.

Diese insgesamt ablehnende Haltung führte an manchen Orten zu schlampig durchgeführten Desinfektionen. Man gab der These eine halbherzige Chance, um sie widerlegen zu können. Als anschließend weiterhin Infektionen auftraten, glaubte man, Semmelweis’ These entkräftet zu haben. Tatsächlich hätten, wie wir heute wissen und auch Semmelweis durch eigene Versuche erkannte, korrekt durchgeführte Desinfektionen die Todesfälle drastisch verringert.

These verlangte Schuldeingeständnis der Ärzte

Semmelweis’ Studenten hielten sich an seine Anweisungen. Aber unter ihnen sowie in seinem weiteren Kollegenkreis gab es viele, die seine These anzweifelten. Die Studie ließ kaum einen anderen Schluss zu. Allerdings hätten die Mediziner zugeben müssen, dass sie selbst Schuld an vielen Todesfällen waren. Semmelweis’ Beobachtungen ließen sich schließlich von der Geburtsmedizin auf andere Bereiche übertragen. Dadurch sahen sich auch Ärzte, die nie mit ihm gearbeitet hatten, in ihrer Ehre angegriffen.

Ärzte sind Heiler. Sie verbreiten keine Krankheiten, sie bekämpfen sie. Dass gerade sie, die ihr Leben dem Heilen verschrieben, den Tod vieler Menschen verursachten, trieb einige sogar in den Selbstmord. So geschah es beispielsweise bei Gustav Adolph Michaelis.

Der deutsche Arzt führte eine eigene Klinik, arbeitete als Geburtshelfer und führte erfolgreich Kaiserschnitte durch. Bei einer Patientin waren es ganze sieben. Auch ihm verstarben immer wieder Wöchnerinnen, darunter seine Cousine. Er erkannte schnell, dass Semmelweis mit seiner These richtig lag. Weil er mit der Schuld nicht leben konnte, beging er 1848 im Alter von 50 Jahren Selbstmord.

Andere Ärzte, die große Mehrheit, wollten nicht wahrhaben, dass Semmelweis richtig lag. Sie reagierten mit Wut und Verachtung, wurden aggressiv und feindeten ihren Kollegen öffentlich an.

Intrigen, Irrenanstalt und Tod

Semmelweis’ Gegner hatten größtes Interesse daran, dass er verstummte. Sie verhinderten, dass er länger Assistenzarzt blieb, sodass er 1849 das Krankenhaus verlassen musste. Er wurde Mitglied der Gesellschaft der Ärzte, einem Verein für Mediziner in Wien. Dort stellte er 1950 erstmals selbst die Ergebnisse seiner Studie vor. Im selben Jahr wurde er zum Privatdozenten für theoretische Geburtshilfe degradiert. Semmelweis war darüber so wütend, dass er Wien verließ und nach Pest ging. Dort eröffnete er eine Privatpraxis und arbeitete auf der Entbindungsstation des St.-Rochus-Spitals.

Schon 1851 stieg Semmelweis dort zum Leiter der Geburtshilfeabteilung auf. 1855 folgte die Professur für theoretische und praktische Geburtshilfe an der Universität Pest. Die Universität trägt heute seinen Namen.

Die Intrigen, die ihn seinen Arbeitsplatz in Wien gekostet hatten, kränkten Semmelweis noch immer. 1861 veröffentliche er daher ein Buch, in dem er auf 500 Seiten erklärte, wie es zum Kindbettfieber kommt und wie Ärzte durch Einhaltung seiner Hygienebestimmungen die Krankheit verhindern können.

Der Erfolg blieb aus. Semmelweis war kein Rhetoriker und seine Formulierungen teilweise wirr. Möglicherweise dadurch zusätzlich gekränkt, begann er, seinen Gegnern offene Briefe zu schreiben.

In diesen Briefen drohte er, jeden, der ihm nicht zuhörte und seinen Hygienebestimmungen folgte, öffentlich bloßzustellen. Er bezeichnete Ärzte, die seine Erkenntnisse ohne Gegenbeweis ablehnten, als Mörder und bedauerte den Tod Tausender Mütter und Säuglinge. Die Schuld an ihrem Tod gab er zum Teil auch sich selbst, da er seine These nicht standhafter und vehementer vertreten hatte.

Einige seiner Gegner erkannten Semmelweis’ These mittlerweile an. Aber die wichtigsten und meisten Ärzte lehnten sie noch immer ab. Vermutlich auch durch diesen weiteren Rückschlag erkrankte Semmelweis 1865 an schweren Depressionen. Diagnostiziert wurden diese jedoch nicht. Drei Kollegen wiesen ihn dennoch im Juli desselben Jahres in die Landesirrenanstalt Döbling bei Wien ein. Nur zwei Wochen später, am 13. August 1865, starb Ignaz Semmelweis dort.

Bei seinem Tod war Semmelweis erst 47 Jahre alt. Als Ursache gab man zunächst eine bereits vor der Einweisung erfolgte Verletzung an, die schließlich zu einer Blutvergiftung führte. In den Klinikunterlagen stand allerdings nichts von einer Wunde.

Anderen Quellen nach soll Semmelweis sich mit dem Klinikpersonal geprügelt haben und dabei verstorben sein. In seiner Akte steht als Todesursache „Gehirnlähmung“, was wir heute als Schlaganfall kennen. Die Akte widerspricht damit den anderen beiden Behauptungen.

Hinzu kommt, dass Semmelweis’ Überreste 1963 exhumiert wurden. Dabei fand man diverse Knochenbrüche an Händen, Armen und dem Brustkorb. Sherwin Nuland, ein amerikanischer Semmelweis-Biograf, spricht daher davon, dass Semmelweis vom Klinikpersonal totgetrampelt wurde.

Wirken nach dem Tod

Nach Semmelweis’ Tod führten verschiedene Ärzte seine Praktiken fort. Der schottische Chirurg Joseph Lister desinfizierte 1867 sein Operationsfeld mit Karbol und senkte damit die Operationsmortalität enorm.

In der Geburtsmedizin dauerte es noch einige Jahre, bevor sich Hygiene und Desinfektion als notwendiger Teil der Untersuchungen durchsetzte.
Im Englischen kennt man den Begriff „Semmelweis-Reflex“. Davon spricht man, wenn jemand einen wissenschaftlichen Fakt oder eine Information, ohne darüber nachzudenken oder das Gehörte zu prüfen, ablehnt. Eben genau das, was Semmelweis mit seiner These passiert ist.


Über den Autor

wissen
Folge Sciodoo und bleibe stets auf dem Laufenden. Schließ dich uns an und abonniere unseren Instagram-Kanal ein. Wir stellen täglich neue Artikel für dich rein.
Weiter zum Kanal>>>
     

Ähnliche Beiträge