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Geschichtsschreibung: 7 Merkmale und Fakten


Geschichtsschreibung bzw. Historiographie ist eine Disziplin innerhalb der Geschichtswissenschaft, welche historische Erkenntnisse darzustellen und zu vermitteln versucht. Das Problem dabei ist, dass die Darstellung und zugeschriebene Bedeutung eines Ereignisses vom Historiker, von der Epoche, vom Interesse und von der Perspektive abhängt. Deshalb kann man niemals sagen: „So ist es“, sondern sollte sich in Demut und Bescheidenheit üben und sagen: „So könnte es gewesen sein.“

Was ist Geschichtsschreibung und warum ist dies wichtig?

Eine Nation ist nicht nur ein Zusammenschluss mehrerer Menschen, welche sich eine gemeinsame Sprache und Kultur teilen. Sie definiert sich auch über eine gemeinsame Vergangenheit. Und die Aufbereitung der nationalen Vergangenheit schafft ein nationales Geschichtsbewusstsein für ein Volk, eine gemeinsame Verantwortung und Nationalstolz.

Das bedeutet: Je nachdem, wie die Geschichte geschrieben wurde – wird die Gegenwart einer Nation erlebt. Dies schlägt sich in der Erinnerungskultur nieder, welche durch Denkmäler, Museen oder Filmen immer wieder aufbereitet wird. Ist eine Nation selbst stolz auf seine Vergangenheit, enthalten Museen sehr viele Ausstellungsstücke – die an die Errungenschaften erinnern sollen.

Einige Nationen stehen mitunter in Konflikt mit der eigenen Vergangenheit, woraus dann eine andere Erinnerungskultur erwächst. Denn dann dienen Ausstellungen und Museen der Mahnung, der Vorwarnung oder dem Schuldeingeständnis.

Neben Erfolgskultur und Schuldkultur kann die Aufbereitung der nationalen Vergangenheit auch zu einer Opferkultur führen, wodurch die Nation ständig andere mahnt, sich an deren Schuld zu erinnern. Und die Angst wieder Opfer von historischen Ereignisse zu werden, bestimmen das Misstrauen und Entscheidungen von Regierung und Bevölkerung.

Um Geschichtsbewusstsein zu schaffen, bedarf es einer Rekonstruktion der Vergangenheit. Und diese Rekonstruktion historischer Ereignisse geschieht durch die Geschichtsschreibung.

Einschränkung auf bestimmte Zeitepochen und Kulturräume

Geschichtsschreibung betrachtet allerdings nicht das gesamte Weltgeschichte, also angefangen von der Erdgeschichte über die Evolutionsgeschichte, sondern lediglich die Menschheitsgeschichte. Und auch diese wird lediglich eingeschränkt betrachtet, da nur der kulturelle Raum Europas über mehrere Jahrtausende detailliert untersucht wurde.

Zwar liegt in Zentralasien das Zweistromland Mesopotamien, welches neben dem Alten Ägypten die Wiege der Zivilisation bildet. Doch der Fokus der Geschichtsschreibung liegt ganz klar auf den Mittelmeerraum mit dem antiken Griechenland, dem römischen Reich, dem Mittelalter und der Neuzeit. Erst nachdem die Seewege nach Indien, China gefunden wurden, erhielt auch die Geschichtsschreibung dort Einzug.

Geschichtsschreibung dient einem Forschungszweck

Die gesamte Menschheitsgeschichte ist ein weites Feld, welches auf bestimmte Forschungsbereiche heruntergebrochen werden kann. So werden die Kunstgeschichte, die Literatur– oder Sportgeschichte ebenfalls durch die Geschichtsschreibung erschlossen, genauso wie die Alltagsgeschichte oder Begriffsgeschichte.

Überall dort, wo ein neuer Bereich menschlichen Schaffens so speziell wird, dass dieser von der allgemeinen Wissenschaft in eine Spezialwissenschaft ausgelagert wird, entsteht ein neues Betätigungsfeld für Historiker und Geschichtsschreiber. Da aber das menschliche Schaffen die Grundlage dieser neuen Disziplinen ist, ordnen sich diese speziellen Geschichtsschreibungen ebenfalls in die Menschheitsgeschichte ein.

Objektive Geschichtsschreibung vs. Subjektive Geschichtsdarstellung

Geschichtsschreibung basiert darauf, dass historische Ereignisse wahrheitsgemäß niedergeschrieben werden. Dafür müssen diese zuvor beobachtet werden. Und das Beobachten geschieht durch Sehen oder Hören. Eine objektive Geschichtsschreibung soll durch Wahrnehmung, eine Erkenntnis generieren, welche der Wahrheit entspricht. Und das geht nicht.

Wieso geht das nicht?
Das Problem bei der Wahrnehmung ist, dass diese niemals objektiv ist. Denn beim Sehen wird Licht auf einem Objekt reflektiert, welches dann zum Auge geworfen und auf der Netzhaut ausgebreitet wird. Dann werden chemische Signale über das Nervensystem zum Gehirn geschickt. Erst dort entsteht der Seheindruck. Die ganze Prozedur kostet Zeit. Somit schaut man eigentlich immer in die Vergangenheit.

Außerdem ist das Bild, welches im Kopf entsteht, lediglich eine Interpretation des Gesehenen. Denn ergänzt wird das chemische Signal durch Erfahrungen und Erwartungen, welche individuell verschiedenen sind. Somit sieht jeder Mensch eine andere Realität, wodurch eine subjektive Wahrnehmung wahrscheinlicher ist als eine objektive. Weiterhin existieren sogenannte Wahrnehmungsfehler, welche die Wahrnehmung zusätzlich verzerren.

Und da der Mensch nicht über unendlich viel Aufmerksamkeit verfügt, ist das Wahrnehmbare bereits selektiert. Die selektive Aufmerksamkeit bewirkt, dass manche Reize niemals eine Reizschwelle überschreiten und somit nicht wahrgenommen werden. So können wir bspw. nicht das Magnetfeld der Erde sehen oder hören, obwohl es existiert.

Bleibt zu sagen, dass das Wahrgenommene davon abhängt, wer es wahrnimmt. Und wenn das Wahrgenommene die Grundlage für die anschließende Geschichtsschreibung ist, wird klar – dass diese äußerst subjektiv sein muss.

Aber zum Glück gibt es noch die Wahrheit, der sich jeder Wissenschaftler verschrieben hat. Das Erkennen einer Wahrheit basiert allerdings darauf, dass man die Merkmale der Wahrheit kennt und mit der Gegenwart abgleicht. Stimmen die Merkmale überein, kommt es zur Erkennung dieser Merkmalseigenschaften und zur Feststellung einer Wahrheit.

Das Problem ist, dass die Merkmalseigenschaften – welche im Gehirn abgeglichen werden müssen, zuvor angelegt werden sollten. Und diese Abspeicherung baut auf bereits gemachte Erfahrungen und zurückliegenden Erkenntnissen auf. Das soll heißen, immer wenn du etwas für wahr hältst, speicherst du es unter wahr ab. Um spätere Wahrheiten zu erkennen, nutzt du deinen Wahrheits-Erfahrungsschatz zum Abgleich.

Aber natürlich ist auch das problematisch. Denn der Erfahrungs- und Erkenntnisschatz ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Somit gibt es für jeden Menschen auch eine andere Wahrheit.

Aber zum Glück gibt es die Wissenschaft und die Bildung. Denn beide vermitteln einer breiten Masse von Menschen eine Wahrheit, worauf diese aufbauen können. Wenn also bspw. vermittelt wurde, dass es im Mittelalter keine Sklaven mehr gab und eine breite Bevölkerungsgruppe diesen Erkenntnisstand übernimmt, ergibt sich daraus eine allgemeine Wahrheit.

Was aber wäre, wenn das vermittelte Wissen grundsätzlich falsch ist. Letztlich basiert die Behauptung der mittelalterlichen Sklaven darauf, dass jemand im Mittelalter festgelegt haben muss, was ein Sklave ist. Denn ohne diese Festlegung kann man den Sklaven nicht vom freien Bürger unterscheiden. Erst durch die Merkmalszuschreibung, was einen Sklaven ausmacht, wird aus manchen Bürgern ein Sklave.

Hätte man diese Merkmalsfestlegung in der Neuzeit getroffen, würde der Begriff Sklave im Mittelalter nicht existieren. Und existiert der Begriff nicht, existiert natürlich auch keine Definition dazu. Ohne die Definition würde es keine Merkmalszuschreibung geben. Das bedeutet, dass man den Sklaven im Mittelalter nicht erkannt hätte – da keine Merkmale eines Sklaven im Erkenntnisstand des Menschen gespeichert sind. Ohne die Erkennungsmerkmale wäre eine Erkennung des Sklaven nicht möglich.

Du siehst, dass der Wahrheitsgehalt der Geschichtsschreibung nicht nur vom Menschen abhängt, welcher das historische Ereignis beobachtet – sondern auch von der Zeit und dem Erkenntnisstand dieser Zeit.

Weiterhin sind Interessen entscheidend, ob wir Geschichte wahrnehmen oder nicht. Ohne ein Interesse an Sklaven, würde keine Definition dazu auftauchen. Und ohne die Definition zum Sklaven würde es keine Sklaven geben. Die Interessen sind bevölkerungs- und nationenabhängig, weshalb jede Geschichtsschreibung national anders ausfällt.

Kurzum…
Es gibt keine objektive Geschichtsschreibung und somit auch keine objektive Geschichtsdarstellung. Denn alle neu auftauchende Fakten würden sich der bereits bestehenden Wahrheit unterordnen. Und dieses Bild der Wahrheit ist geprägt durch alte Annahmen von Wahrheiten, welche eine Nation bewusst vermittelt, um ein gemeinsames Geschichtsbewusstsein zu schaffen. Aber sie sind auch von der Zeit abhängig, als diese auftauchten und eingeordnet wurden.

Vor circa 3000 Jahren gab es, im allgemeinen Weltbild der Menschen, Götter – welche für den Tag, die Nacht, für Regen oder Sonne verantwortlich waren. Damals bestand eine allgemeine Wahrheit darüber, dass es Götter gibt. Und die Menschen hatten Merkmale für Götterwerk in ihrem Erkenntnisspeicher angelegt. Und immer, wenn es regnete, glichen sie ihren Erkenntnisspeicher ab und erkannten das Werk eines Gottes darin.

Wenn in 3000 Jahren die Menschheit auf heutige Ereignisse zurückschaut, würde sie diese durch einen anderen Erkenntnisschatz beurteilen und dadurch das Ereignis ganz anders einordnen.

Somit kann Alles was wir heute für wahr halten, bereits morgen überholt sein. Die Utopien von heute sind wohlmöglich die Wirklichkeit von morgen.

Geschichtsschreibung schafft Ordnung durch Kategorisierungen

Wir blicken auf die Vergangenheit und können bestimmte historische Ereignisse als richtig oder falsch beurteilen. Dadurch können wir Ereignisträger, also die Menschen – welche unmittelbar mit dem Ereignis verknüpft sind als Gut und Böse identifizieren. Man ist sich einig darüber, dass Hitler eine böser Mensch war, weil er die falschen Entscheidungen traf, einem falschen Weltbild hinterherlief und alles was er tat, falsch war.

Mit diesen Erkenntnisschatz über richtig oder falsch, gut oder böse – können wir heutige falsche Propheten besser beurteilen und sind gewarnt vor ihren Lügengeschichten und ihrem Wahnsinn. Aber ohne die Erfahren des Dritten Reiches hätte die Menschheit diesen Erfahrungsschatz nicht und könnte somit, neue Kriegstreiber und Massenmörder nicht identifizieren.

Begriffe beeinflussen die Geschichtsschreibung und werden von ihr beeinflusst

Hinter Begriffen stehen mitunter Überzeugungen und Wertvorstellung. In der Geschichtsschreibung werden diese Begriffe genutzt, um ein bestimmtes Bewusstsein für die Vergangenheit zu schaffen. Gleichzeitig werden bestimmte Begrifflichkeiten ausgeschlossen, um das Nationalgefühl im Einklang zu halten. So etwas geschah nach den Terroranschlägen vom 11. September.

Am 11. September 2001 verübten Terroristen mehrere Terroranschläge in den USA. Als ein Umfeld dieser Terroristen wurde die Taliban-Regierung in Afghanistan ausgemacht. Deshalb kam es zum Beschluss, das Taliban-Regime zu bekämpfen und den Staat Afghanistan, nach westlichen Vorbild, zu demokratisieren. Allein das Wort Regime transportiert mehr Wertung als das Wort Regierung.

Die USA berief sich auf Artikel 5 des Nato-Abkommens, welcher besagt – dass sobald ein NATO-Land überfallen wird, alle anderen NATO-Länder dem Bündnispartner militärisch beistehen müssen. Die USA wertete den Terrorangriff als Angriff von Afghanistan, erhielten dadurch eine Legitimation das zentralasiatische Land selbst anzugreifen und verpflichtete alle NATO-Staaten dazu, sie dabei zu unterstützen.

Somit musste Deutschland in den Konflikt einsteigen. Aber in Deutschland nannte man den Afghanistan-Krieg nicht Krieg, sondern bezeichnete diesen Feldzug als Konflikt, als bewaffneten Schutz, als militärischen Einsatz oder Operation. Im sogenannten Afghanistan-Einsatz ab 2001 starben mehrere deutsche Soldaten und dennoch weigerte sich die Öffentlichkeit, das Wort Krieg auszusprechen. Erst Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg brach im März 2010 das Tabu und sprach vom Krieg in Afghanistan.

Wieso?
Die Aufarbeitung der deutschen Geschichte wird überschattet durch die beiden Weltkriege. Daraus erwuchs eine Erinnerungskultur, welche den Krieg mit deutscher Beteilung aufs schärfste verurteilt. Das Wortverbindung Kriegseinsatz und Deutschland sollte nie wieder auftauchen, weshalb man sich weigerte.

Somit wird deutlich, wie stark das nationale Geschichtsbewusstsein auch die Begrifflichkeit der Gegenwart prägen.

Noch während des Afghanistankrieges führten die USA und Großbritannien einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Iran. Die Legitimation zum Angriff auf den Iran schufen die beiden Angriffsstaaten mit der Aussage, dass das Regime des Irans Atomwaffen herstellen würde. Somit wurde der Krieg zum Präventivschlag erklärt, welche dem Schutz der gesamten Menschheit diene.

Später wurden keine Rückstände auf Massenvernichtungswaffen gefunden. Der UN-Sicherheitsrat sollte den Irakkrieg verurteilen, doch die USA und Großbritannien machten von ihrem Vetorecht Gebrauch. Denn sobald ein Urteil für den Angriffskrieg vorliegen würde, müssten sich die Staaten als schuldig bekennen, den Weltfrieden zu gefährden und wären zu Kriegsverbrecher erklärt worden. Die feinen Nuancen in der Begrifflichkeit Krieg und Angriffskrieg haben somit Rechtsfolgen.

Um Karl den Großen, welcher 800 zum ersten weströmischen Kaiser nach der Antike gekrönt wurde, entstand schon zu Lebzeiten ein Karlsmythos. Er galt als Bezwinger der Sachsen, als der Kaiser, welcher das christliche Abendland vereinte. Doch tatsächlich mussten bei seinen Christianisierungen zehntausende Sachsen sterben. Somit kann man Karl den Großen auch gerne als Massenmörder bezeichnen. Aber die Geschichtsschreibung schreibt ihm eine andere Rolle zu und macht ihm zum Helden des Christentums, welcher 1165 auch noch heiliggesprochen wurde.

Die Begriffe, welche die Geschichtsschreibung für Feldherren und Massenmörder wählt, werden somit zum Bild – welches wir für diese Persönlichkeiten in der Gegenwart haben werden.

Unschuldige werden zu Schuldigen durch falsche Darstellungen

Eine Ursache für Judenhass und Antisemitismus könnte sein, dass man der jüdischen Bevölkerung in Jerusalem vorwarf, für die Ermordung von Jesus Christus verantwortlich gewesen zu sein. Denn Pontius Pilatus, welcher römischer Statthalter von Jerusalem war, soll das Volk befragt haben, ob Jesus begnadigt werden soll. Doch das Volk schrie, dass Jesus sterben soll.

Im Matthäus-Evangelium (Mt 27, 25) im Neuen Testament der Bibel steht:

Da rief das ganze Volk: Sein Blut – über uns und unsere Kinder!

Das Evangelium des Lukas (Lk 23, 21-23) schreibt dazu:

Sie riefen aber: Kreuzige, kreuzige ihn! Er aber sprach zum dritten Mal zu ihnen: Was hat denn dieser Böses getan? Ich habe keine Schuld an ihm gefunden, die den Tod verdient; darum will ich ihn züchtigen lassen und losgeben. Aber sie setzten ihm zu mit großem Geschrei und forderten, dass er gekreuzigt würde. Und ihr Geschrei nahm überhand.

Auch das Johannes-Evangelium (Joh 18, 38 ff) schildert, dass die Juden den Tod von Jesus forderten.

Die Evangelien machen das jüdische Volk zum Gottesmörder. Erst nach 1945 rückte die Kirchen von der Gottesmordthese ab. In der heutigen Geschichtsdarstellung gelten die Römer, vertreten durch Pontius Pilatus, als Jesusmörder. Aber für ungefähr 1500 Jahre waren die Juden schuldig.

Diese falsche Schuldzuweisung wurde durch verschiedene Verschwörungstheorien weiter untermauert. So wurden Juden zu Brunnenvergifter im Mittelalter, zu Wuchern in der Antike und zu heimlichen Weltherrschern in der Neuzeit erklärt.

Die Judenverfolgung wurde bereits in der Antike praktiziert und ist keine Erfindung der Nationalsozialisten. In Köln im Jahr 1349 kam es während der Bartholomäusnacht zu einer Stürmung des Judenviertels. Es wurden Häuser geplündert und angesteckt. Ein Münzschatz, welchen eine jüdische Familie in dieser Nacht begrub, wurde 1953 wiedergefunden und ist heute im Stadtmuseum Kölns ausgestellt. Der französische Chronist Gilles Li Muisis bezeichnete die Bartholomäusnacht als „Judenschlacht“ bei welcher mehr 25.000 Juden betroffen waren.


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